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Wo sich Geisteswissenschaften und Technik die Hand reichen

Ab Herbst bietet die Fachhochschule Graubünden einen neuen Master-Studiengang an. Die Verantwortlichen erklären, was das bringt – der Bündner Jugend und der Wirtschaft.

Olivier
Berger
08.05.23 - 04:30 Uhr
Wirtschaft
Es kann losgehen: Bianca Bärlocher und Thomas Hodel sind überzeugt, dass vom neuen Joint-Master-Studiengang neben den Studierenden auch die Bündner Jugend, die Wirtschaft, die Region und die beteiligten Schulen profitieren.
Es kann losgehen: Bianca Bärlocher und Thomas Hodel sind überzeugt, dass vom neuen Joint-Master-Studiengang neben den Studierenden auch die Bündner Jugend, die Wirtschaft, die Region und die beteiligten Schulen profitieren.
Bild Livia Mauerhofer

Die Bündner Regierung hat grünes Licht gegeben: Damit kann der Joint-Master-Studiengang Digital Communication and Creative Media Production in Chur im Herbst starten. Davon sollen auch junge Bündnerinnen und Bündner profitieren, wie Studiengangleiterin Bianca Bärlocher und Thomas Hodel, Leiter des Instituts für Multimedia Production an der Fachhochschule Graubünden (FHGR), im Interview sagen. Angeboten wird der neue Studiengang in Zusammenarbeit mit der Universität Fribourg.

Frau Bärlocher, Herr Hodel, die Regierung hat den Joint-Master-Studiengang Digital Communication and Creative Media Production genehmigt. Wie erleichtert sind Sie?

Thomas Hodel: Erleichtert ist vielleicht das falsche Wort. Wir haben schon sehr stark mit der Genehmigung der Regierung gerechnet. Immerhin hatten wir ein detailliertes Konzept samt Finanzierung eingereicht. Darauf gab es keinen Widerspruch der kantonalen Verwaltung. Ein Nein der Regierung hätte uns deshalb erstaunt.

Bianca Bärlocher: Zudem war im Kanton Fribourg, an der Universität, schon alles aufgegleist.

Was hätten Sie gemacht, wenn von der Bündner Regierung trotzdem ein Nein gekommen wäre?

Thomas Hodel: Dann hätten wir alles sistiert und abgesagt.

Parallel zum Genehmigungsverfahren der Regierung lief auch schon die Ausschreibung für das erste Studienjahr…

Thomas Hodel: … das Beispiel zeigt, dass gewisse Aufgaben besser an den Hochschulrat der FHGR delegiert würden als an kantonale Dienststellen. In anderen Kantonen haben die Hochschulen diesbezüglich viel mehr Autonomie. Ich denke, das ist auch wichtig, damit sie rasch reagieren und am Markt bestehen können.

Noch einmal: Die Studierenden konnten sich bereits anmelden. Wie ist das Interesse an dem Studiengang bisher?

Bianca Bärlocher: Es ist mega gross. Wenn man auf unsere Website schaut, dann kracht es da wirklich. Es melden sich Interessierte aus der Region, aber auch aus der ganzen Schweiz und sogar aus dem Ausland. Was bisher auch auffällt, ist, dass wir einen sehr hohen Frauenanteil bei den Anfragen und Anmeldungen haben. Das ist für einen Studiengang ungewöhnlich, der eigentlich sehr technisch ausgerichtet ist. 

Woran liegt das?

Thomas Hodel: Ich glaube an unserer Mischung der Studieninhalte, die Verbindung von Technologie und gesellschaftlich relevanten Themen.

Bianca Bärlocher: Das glaube ich auch. Wir verbinden in dem Studiengang geistes- und sozialwissenschaftliche Inhalte mit den technischen. Die technische Seite, das Programmieren, wird Schritt für Schritt eingeführt. Wir öffnen mit dem neuen Studiengang auch Türen zum Technischen für Studierende, die sich das sonst vielleicht nicht so zutrauen. Es ist ja nicht Hardcoretechnik, wir stehen eher an einer Schnittstelle, wir sind im Sinne des Wortes interdisziplinär.

Nun ist der Studiengang also in trockenen Tüchern. Was bedeutet das für die Studierenden der FHGR, die heutigen und die künftigen?

Bianca Bärlocher: Ich bekomme sehr viele Rückmeldungen von Studierenden, dass sie eigentlich genau auf so einen Studiengang gewartet haben. Oder von Dozierenden, die sagen: «Hätte es das zu meiner Zeit schon gegeben, hätte ich es studiert.» Ich glaube, das Reizvolle an dem Studiengang ist, dass wir nicht nur Wissen vermitteln, sondern ganz konkret zeigen, wie man mit dem, was man gelernt hat, arbeiten kann – in der Praxis.

Was haben eigentlich die Bündner Jugendlichen, was hat Graubünden ganz allgemein, von diesem neuen Studiengang?

Bianca Bärlocher: Wir arbeiten mit vielen lokalen Praxispartnern aus der Wirtschaft zusammen. Davon profitieren diese, aber natürlich auch die jungen Bündnerinnen und Bündner, weil sie während des Studiums schon Einblick in diese Unternehmen und die wichtigen Wirtschaftszweige im Kanton erhalten. Umgekehrt können Studierende, die bei einem Unternehmen oder einer Organisation arbeiten, diese auch als Partner mit ins Studium holen. Beides wirkt dem Fachkräftemangel entgegen, da leistet der Studiengang einen Beitrag. Zudem bieten wir den Bachelorstudierenden am Institut für Multimedia Production jetzt eine Anschlusslösung für ein Masterstudium vor Ort. 

Wer soll diesen Studiengang eigentlich absolvieren? An wen richten Sie sich?

Bianca Bärlocher: An alle, die einen in der Schweiz anerkannten Bachelor erworben haben. Das ist das Formale, das sind die Zulassungsbedingungen. Ansprechen wollen wir all jene, die die Digitalisierung mitgestalten, die aus ihrer Passivrolle heraus und die sich selbstbestimmt entwickeln wollen.

Was lernen die Studierenden denn konkret?

Bianca Bärlocher: Im ersten Semester vermitteln wir Wissen über Medien, Kommunikation, Wirtschaft und die medientechnischen Grundlagen. Im zweiten Semester kommt dann das Programmieren dazu, und zwar wirklich von der Pike auf. Die Studierenden sollen bei uns aber auch Kreativität, Innovation, Sozialverhalten und Arbeitsmethodik kennenlernen und anwenden können. Ab dem dritten Semester wenden die Studierenden das Gelernte an und verbinden Theorie, Methoden und digitale Umsetzung.

Thomas Hodel: Sie lernen, digital zu kommunizieren. Das schliesst eigentlich alles ein, und darum geht es. Sie lernen, wie sie einen Inhalt erarbeiten und wie sie damit ihre Zielgruppe erreichen.

Wie schwierig war es, dieses Studium zu ermöglichen? Wie lang war die Vorbereitungszeit?

Thomas Hodel: Die ganze Vorbereitungszeit bis zur Zulassung hat über fünf Jahre gedauert. Es waren intensive Vorbereitungen. Zunächst einmal haben wir uns überlegt, was das Beste für die Studierenden ist und was benötigen heutige Unternehmen und Organisationen, von dem sind wir ausgegangen. Es hat sich dann aber rasch gezeigt, dass es Joint-Master-Studiengänge zwischen Universität und Fachhochschule in der Deutschschweiz in der Regel nicht gibt. Man muss dafür ja zwei Kulturen, zwei Philosophien, verschiedene Profile verschmelzen: jene der Universitäten mit jenen der Fachhochschulen. Die Universitäten arbeiten sehr theoretisch-methodisch, bei den Fachhochschulen ist der Praxisbezug grösser, wissenschaftlich sind beide. Aber genau in dieser Verbindung haben wir auch die Stärken unseres Konzepts gesehen.

Wo sind Sie auf die grössten Widerstände und Schwierigkeiten gestossen?

Thomas Hodel: Schwierig war sicher die Suche nach der richtigen Partneruniversität. Und die Finanzierung musste geregelt werden. Wir haben vier, fünf Konzepte geschrieben und sie immer wieder verworfen und angepasst. Aber es hat sich gelohnt, das Konzept, das wir jetzt umsetzen, ist gut, wirklich im Detail ausgeklügelt und es profitieren alle davon, die Studierenden, Unternehmen und Organisationen, die Region wie auch beide Hochschulen. Wir haben neu ja auch ein universitäres Forschungsinstitut in Chur. Wir betreiben hier forschungsbasierte Lehre, das ist wichtig. Und natürlich bindet auch das Fachkräfte an die Region.

Wenn man sich die Studienbroschüre ansieht, bietet der Studiengang viel Flexibilität, auch was Studienzeiten und Studienorte angeht. Muss man hier heute einfach mehr bieten als früher?

Thomas Hodel: Das war ein weiteres Anliegen. Wir haben bei der Konzeption sehr darauf geachtet, wie ein Studiengang aussehen muss, damit er der Generation Z entspricht, den heutigen Studierenden. Das bezieht sich nicht nur auf die Zeiten und Orte und dergleichen, sondern auch auf die Inhalte und Didaktik. Wir haben heute auch ganz verschiedene Bildungswege, welche die Studierenden mitbringen – und diese Lebenserfahrungen sollen sie auch einbringen können. Der «Bildungseinheitsbrei» für alle geht heute nicht mehr. Wir bieten Anschlüsse und keine Ausschlüsse, wir denken die Gegenwart von der Zukunft.

Bianca Bärlocher: Es gibt eine ganze Reihe von Krisen, welche die Welt und die Bildung bewältigen müssen. Aktuell arbeiten alle für sich, ohne auf die anderen zu schauen, aber an den gleichen Problemstellungen. Die Interdisziplinarität, die wir in diesem Studiengang leben, bietet wegweisende Möglichkeiten, diese Probleme anzugehen. 

Olivier Berger wuchs in Fribourg, dem Zürcher Oberland und Liechtenstein auf. Seit rund 30 Jahren arbeitet er für die Medien in der Region, aktuell als stellvertretender Chefredaktor Online/Zeitung. Daneben moderiert er mehrmals jährlich die TV-Sendung «Südostschweiz Standpunkte».

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