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«Dornröschen» im Theater Chur: Wenn der Körper zur Kunst wird

Filipe Portugal war professioneller Balletttänzer und ist nun Choreograf – ein Gespräch über Liebe, Leidenschaft und darüber, wie er stets weiter tanzt

Bündner Woche
24.06.23 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale

von Riccarda Hartmann

Stark weht der Wind über den Theaterplatz in Chur, bewegt die roten und grünen Blätter und die dünnen Äste der Bäume. Er erfasst auch das olivgrüne T-Shirt von Filipe Portugal und lässt den Stoff um seinen Körper tanzen. Ein Körper, der genau das ein Leben lang tat. Tanzen. Sich bewegen. Figuren einnehmen. Alles, um etwas zum Ausdruck zu bringen. «Für mich ist es ein Weg – wie jede andere Art von Kunst – in den Leuten Emotionen zu wecken», sagt der 45-Jährige. Das tat er früher selbst auf der Bühne, heute macht er das durch seine Choreografien.

Choreografieren und unterrichten. Seit vergangenem Jahr ist Filipe Portugal Leiter der Tanzschule Balleo in Chur und führt mit den Schülerinnen und Schüler die Ballettaufführung «Dornröschen» im Theater Chur auf. Diesen Auftritt verbindet er mit dem Projekt «Unity Dance Principals», das Tänzerinnen und Tänzer in der Übergangsphase zwischen professioneller Tanzausbildung und dem Finden einer Arbeit unterstützen soll und bei dem er der künstlerische Leiter ist. Für Filipe Portugal sei es wichtig gewesen, dieses Programm mit der Balleo-Schule zu verbinden. «So können meine Schülerinnen und Schüler einen kleinen Einblick erhalten, was es bedeutet, professionell zu tanzen», sagt er. Auch wenn sie am Ende nicht diesen Weg nicht einschlagen möchten. «Ich hoffe, es ist etwas, das sie auch in Zukunft mit sich tragen werden und dass sie eine Liebe für Kunst entwickeln.»

Von Portugal nach Zürich 

Kurz unterbricht er seinen Redefluss und winkt mit breitem Lächeln einem Mädchen zu, das gerade mit ihrem grossen Rucksack zwischen den grossen Töpfen und den grünen Sitzgelegenheiten über den sonnenbeschienenen Platz läuft. Sie winkt zurück. Eine seiner Schülerinnen, verrät er. Auch Filipe Portugal war zu Beginn ein Schüler. Damals in Lissabon. Der Stadt, in der er 1978 geboren wurde. Der Stadt, in der er mit dem Ballett anfängt.

Filipe Portugal studiert die Tanzform am nationalen Konservatorium in Portugal. Nach dem Abschluss tanzt er im portugiesischen Nationalballett als ein Teil des «Corps de Ballet». In einer Kompanie besteht eine Hierarchie zwischen den professionell Balletttanzenden: Corps de Ballet, Solist oder Solistin und Haupttänzer oder Haupttänzerin. Für sechs Jahre bleibt er dort, bis er sich dazu entschliesst, nach Zürich zu gehen. «Ich fühlte, ich müsse mehr lernen und dafür ins Ausland», sagt er. Im Zürcher Ballett tanzt er für mehrere Jahre als Solist.

Filipe Portugal bei seiner Einwärmroutine. Video Riccarda Hartmann

Ein Tag im Leben eines Balletttänzers

Ein Tag eines professionellen Balletttänzers: «Es ist wie ein Ritual», erinnert er sich an den strukturierten Ablauf. Aufwärmen. Tanzunterricht mit Coaches. «Wenn man in einer Kompanie ist, nimmt man Stunden, um das zu trainieren, woran man im Moment gerade arbeiten muss, um besser zu werden», erklärt Filipe Portugal. Nach den Tanzstunden folgen Proben für kommende Vorführungen. Mittagessen. Bis am Abend erneut Proben für Vorführungen.

«Verliere nicht die Chance, auf die Bühne zu gehen und es zu geniessen», sagt er. Und so geht er jedes Mal auf die Bühne und tanzt. Für sich und andere. Für die Geschichten, die er erzählt. Für die Gefühle, die er durch diese vermittelt. Für die Kunst, die er mit seinem Körper malt. «Es ist meine Seele. Es ist, wo ich mich gut fühle.» Wohlfühlen und ein Weg, Emotionen weiterzugeben. «Das Tanzen ist ein Weg, sich auszudrücken», sagt Filipe Portugal. «Und das ist der Moment, wenn es weniger Schritte und Techniken sind und mehr ein Ausdruck. Dann verbindest du deinen Geist und deinen Körper zu einem.»

«Überall sieht man Kunst, wenn man durch die Stadt geht»
Filipe Portugal

Filipe Portugal tanzt weitere sieben Jahre für das Zürcher Ballett. Als er um die 30 Jahre alt ist, denkt er, es sei an der Zeit, nach Portugal zurückzukehren. Für eineinhalb Jahre ist er Haupttänzer im Nationalen Ballett von Portugal, bevor es ihn wieder nach Zürich zieht, wo er als Haupttänzer bis zum Ende seiner Tanzkarriere bleibt.

Es ist die Zeit, in der er oft an den Wochenenden nach Sarn in Graubünden geht. «Für mich macht es einen Unterschied im Leben, wenn ich am Wochenende in die Berge gehe», sagt er. «Es ist wie das Aufladen von Batterien. Das geht hier besser, als wenn ich in Zürich bleiben würde.» Sein Partner machte ihn mit dem Kanton bekannt. Und so kommt er auch nach Chur. «Ich sehe das Potenzial der Stadt. Sie ist offen für Kunst. Überall sieht man Kunst, wenn man durch die Stadt geht.»

Bis in die Fingerspitzen: Ballett, ein Tanz, der die Beherrschung des ganzen Körpers verlangt.
Bis in die Fingerspitzen: Ballett, ein Tanz, der die Beherrschung des ganzen Körpers verlangt.
Bild Riccarda Hartmann

In Zürich bleibt Filipe Portugal erneut für sieben Jahre als Haupttänzer und gelegentlich als Choreograf, bis er sich dazu entschliesst, von der Bühne zurückzutreten. Vor drei Jahren, als er 42 Jahre alt ist. Das sei ein gutes Alter für einen Tänzer oder eine Tänzerin, mit dem professionellen Tanzen aufzuhören, meint er. «Das Tanzen ist eine Karriere, von der du bereits zu Beginn weisst, dass sie nicht lange dauern wird», sagt er. «Ich wollte aber von Anfang an in der Lage sein, zu entscheiden, wann es für mich an der Zeit ist, zu gehen.» Und so habe er auch an seinem letzten Arbeitstag alles mit 100 Prozent ausführen können. Auch sein neues Ziel, seine neue Leidenschaft, habe ihm dabei geholfen, sich von der Bühne zu verabschieden. Das Choreografieren. Er macht den Master in Dance-Choreografie an der Zürcher Hochschule der Künste im Jahre 2020. Unter anderem komponiert er Stücke für das Charlotte Ballett, das Schanghai Ballett, das Ballett Ireland und Nationale Ballett von Portugal. «Ich möchte an meinen Choreografien erkannt werden. An meiner Sprache in ihnen», sagt er. Als Choreograf sei es zudem aufregend zu sehen, wie seine Sprache angegangen und auf der Bühne umgesetzt würde. Er vergleicht das Choreografieren mit einem Bild. Wenn er daran arbeitet, kommen immer weitere Elemente hinzu. Figuren. Formen. «Es ist wie ein sich bewegendes Gemälde vor mir», sagt er und während er das tut, bewegen sich seine Hände mit den langen Fingern. Malen selbst das Bild einer Bühne mit Balletttänzerinnen und Balletttänzer in die Luft.

Heute auf der anderen Seite der Bühne

«Heute bevorzuge ich es, auf der anderen Seite zu stehen», sagt Filipe Portugal. Um von dort Dinge zu kreieren. Choreografien für die Tanzenden. Kunst für die Zuschauenden. Abseits der Bühne und doch nicht ganz fern davon: «Auf eine Art bin ich immer noch auf der Bühne. Mit meinen Choreografien», sagt er.

Der Alltag als Choreograf und Tanzlehrer unterscheidet sich von dem als professioneller Tänzer. Er sei weniger strukturiert. Manchmal unterrichtet er am Abend, dann wieder am Morgen oder in der Mitte des Tages. «Als ich noch tanzte, fühlte ich mich, durch den physisch anstrengenden Beruf, die meiste Zeit müde», sagt er und lacht leise. Seit er aufgehört hat, sei sein Leben umgekehrt. Er sei nie still, immer am Herumrennen. Immer am Arbeiten. Am Unterrichten. Am Komponieren. Am Choreografieren. «Ich habe realisiert, dass das nun meine Art des Tanzes ist.»

«Dornröschen» im Theater Chur

Klassisches Ballett trifft auf Modern Dance. Leitung: Filipe Portugal.

Samstag, 24.09. um 14 Uhr und um 18 Uhr.

Tickets unter theaterchur.ch

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