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Früher war die Hitze besser

Dieser Sommer knackt einen Temperaturrekord nach dem anderen. Rekordsommer 2003? Längst Geschichte. 

Südostschweiz
10.08.22 - 16:30 Uhr
Fast leer: Im Sommer 2003 gehörten wir zu den Ersten, die frühmorgens durch das Badi-Drehkreuz drängten.
Fast leer: Im Sommer 2003 gehörten wir zu den Ersten, die frühmorgens durch das Badi-Drehkreuz drängten.
Bild Mara Schlumpf Privat

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Hallo zusammen. Ich bin die Neue hier. David und Nicole haben mir erlaubt, einen Teil des Sorgerechts für den Zillennial-Blog zu übernehmen. Mit meinem 93er-Jahrgang bin ich alterstechnisch zwischen Nicole und David angesiedelt. Man könnte sagen, während die Handys immer kleiner wurden, wurde ich immer grösser.

Bei 40 Grad im Schatten wurden bei mir letzte Woche Erinnerungen an den Rekordsommer 2003 wach. Damals waren wir vorübergehend im Kanton Luzern daheim – wir hatten also entsprechend lange Sommerferien. Diese verbrachten wir als Heimweh-Aargauer in der Badi in Unterkulm. Jeden Morgen packte meine Mutter selbst gemachte Sandwiches in unsere Kühlbox und cremte mich noch daheim mit einem ultrastarken Sonnenschutz ein. 

Meistens waren Freundinnen oder Cousinen von mir dabei, wenn wir es uns kurz nach 8 Uhr morgens auf der grünen Badiwiese gemütlich machten. Auch mit dabei war stets mein Anti-Shock-CD-Player und meine erste selbstgekaufte CD – «200 km/h in the Wrong Lane» von t.A.T.u. Ich war ein grosser Fan der beiden Sängerinnen – von politischen Statements und sich küssenden Mädchen wollte ich damals noch nichts wissen. Aber: Ich kannte alle ihre Songs, auch die russischen Gegenstücke, Wort für Wort auswendig – und kann dies ehrlich gesagt grösstenteils auch heute noch. (Es ist ein hervorragendes Album, so, jetzt habe ich es gesagt.) Hier könnt ihr in einen der russischen Songs reinhören:

Jedenfalls schwitzten wir uns durch den Rekordsommer: sorgen- und bauchfrei im Herzen des Aargaus mit unseren selbst gemachten Sandwiches. Keine Regentage weit und breit. Das Leben war schön. Unsere grösste Sorge galt den Wespen, auf die wir in der Badi regelmässig stiessen, wenn wir uns am Nachmittag beim Badikiosk die grünen Glace-Kügelchen  (Solero Shots, wenn ich nicht irre) gönnten.

Auch der Sommer 2022 wird wohl hitzetechnisch als Rekordsommer in Erinnerung bleiben. Doch jetzt, 19 Jahre danach, ist alles anders. Natürlich einerseits weil ich mittlerweile meine Brötchen selber verdienen muss und nicht mehr sechs Wochen am Stück in der Badi liegen kann. Andererseits auch, weil ich nun die Nachrichten verfolge und die Waldbrände sehe, vom Klimawandel höre und mir bewusst ist, dass einige Menschen diese Hitze nicht überleben. Da mag ich mich kaum freuen, wenn es seit Wochen nicht geregnet hat. Ich studiere zu lange, wie ich selbst gemachte Sandwiches nachhaltig so einpacke, dass sie am Nachmittag noch geniessbar sind. Unvorstellbar, mich in die Badi zu legen und russische Popsongs vor mich hin zu singen. Auf Wespen bin ich mittlerweile allergisch, mein iPhone verträgt die Sonne deutlich schlechter als mein CD-Player von damals und die beste Glace, die Solero jemals produziert hat, wurde bereits vor Jahren eingestellt. t.A.T.u. hat sich längst aufgelöst und eine der beiden Sängerinnen politisiert mittlerweile in Putins Partei. Vorbei ist die süsse, rosige Kaugummiblase von damals.

Früher war nicht alles besser. Auch 2003 nicht. Aber wie ich als unwissende Neunjährige stundenlang mit Freundinnen Tauchringen nachgejagt und am Abend meine vom Chlor roten Augen begutachtet habe, bleibt eine pure, wunderschöne Erinnerung. Sich ohne Sorgen der Sonne hinzugeben und das Leben zu geniessen ist ein Luxus. Ein Luxus, den ich mir heute nicht mehr ohne weitere Gedanken erlauben kann.

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