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Fressgötti

Christian
Ruch
10.06.17 - 06:03 Uhr
Die Sitzposition ist für den Fressgötti von entscheidender Position.
Die Sitzposition ist für den Fressgötti von entscheidender Position.
PIXABAY

In «Ruchs Rubrik» beleuchtet Christian Ruch Bedenkliches, Merkwürdiges und Lustiges aus der Region Südostschweiz. Das alles einmal wöchentlich und mit viel Esprit und Humor. Ob Politik, Kultur, Wirtschaft oder Sport – in Ruchs Rubrik hat all das Platz, was sich mit einem Augenzwinkern betrachten lässt.

Letzten Sonntag begleitete ich meine Liebste zur Ausübung ihres Amts als Gotte zu einer Firmung in eine der höher gelegenen Regionen Graubündens knapp unterhalb der Schneefallgrenze. Und erfuhr dabei, dass ich als Gotten-Attachment nun ein sogenannter Fressgötti sei. Dessen einzige Aufgabe ist es, beim Festmahl an der Vernichtung der dargebotenen Speisen und Getränke mitzuwirken, daher der Name. Fressgöttis sind also sozusagen eine Art Festtagsakne: überflüssige und oft auch unerwünschte Mitesser.

Wie also verhält sich ein Fressgötti richtig? Ihm obliegt eine gewisse Zurückhaltung bei heiklen Familienthemen. Er sollte also nicht fragen, warum da vier Grosselternpaare sitzen, nur weil er einige Scheidungsverfahren nicht mitbekommen hat. Und wird passend zum Hauptgang von einem boshaften Onkel berichtet, der seiner Frau vor dem Kirchgang dauernd das Gebiss versteckt, sollte der Fressgötti nicht auch noch von der entfernt verwandten Beizenwirtin anfangen, die mit ihrem Gebiss immer so hübsche Muster im Herdöpfelstock hinterliess. In politischen Fragen kann man diese Zurückhaltung durchaus ablegen. Bricht ein Grossvater beim Thema Bündner Wasserkraft in Tränen aus, darf der Fressgötti ihm ruhig Mut zusprechen und versichern, dass unsere Politiker alles daran setzen werden, die Konzessionsabgaben zu retten. Dieser Trost ist allerdings dann überflüssig, wenn besagter Grossvater nur deshalb weint, weil er beim Thai-Curry entgegen dem Rat der Schwiegertochter das erste Mal in seinem Leben in eine Chili-Schote gebissen hat.

Ganz wichtig für den Fressgötti: gute Beziehungen zum einzigen Sechsjährigen am Tisch, der statt Thai-Curry drei riesige Schnitzel, Pommes und Ketchup bekommt und schon bei diesem Anblick kapituliert. Übernimmt der Fressgötti dann die Schnitzel und überlässt dem Kleinen die Pommes, kann eine Freundschaft fürs Leben entstehen. Und wenn der heute Sechsjährige mal heiratet, wird der Fressgötti vielleicht sogar zum Trauzeugen befördert. Ein tolles Upgrade, oder?

 

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