×

In Berlin

Christian
Ruch
27.05.17 - 10:00 Uhr
PIXABAY

In «Ruchs Rubrik» beleuchtet Christian Ruch Bedenkliches, Merkwürdiges und Lustiges aus der Region Südostschweiz. Das alles einmal wöchentlich und mit viel Esprit und Humor. Ob Politik, Kultur, Wirtschaft oder Sport – in Ruchs Rubrik hat all das Platz, was sich mit einem Augenzwinkern betrachten lässt.

Diese Zeilen kommen aus Berlin. Schweizer lieben diese Stadt, ist sie doch bekanntlich arm, aber sexy, also das pure Gegenteil der Schweiz. Und so sah ich hier ein wild knutschendes Schweizer Paar Mitte vierzig, offenbar überglücklich, der heimischen Anstandsanstalt für ein paar Tage entronnen zu sein.

Die Armut bemerken Sie, wenn Sie beim Gang durch Berlins Strassen so ein schlurfendes Geräusch hören. Oh nein, denken Sie, bestimmt ein Obdachloser, der mich gleich anquatscht. Und immer, wenn Sie stehen bleiben, macht er das auch. Bis Sie merken, dass das schlurfende Geräusch von einem Knäuel an Ihrem Schuh herrührt, das aus altem Kaugummi, Zigarettenschachtelresten, einem gebrauchten, gelb-grünlichen Taschentuch und Hundehaar besteht. Doch Kopf hoch! Im Winter sorgt Berlins Armut sogar dafür, dass der glatteisbedingte Oberschenkelhalsbruch das mit Abstand beliebteste Berlin-Souvenir ist. Dass es hier eine Invalidenstrasse gibt, sagt schon alles.

Und sexy? Na ja. Angeblich auf der Oranienburger Strasse. Wo selbst Schweizer Männer von jungen Dienstleistungsanbieterinnen mit «Na, Süsser, wat kann ick dir denn Jutes tun?» begrüsst werden. Und während sich Herr Schweizer noch überlegt, wer ausser dem Grosi ihn je «Süsser» genannt hat, hört er: «Bei mir jibt et Französisch, Russisch und Jriechisch, ditt allet nur für en Fuffi!» Französisch, das weiss unser Tourist, ist irgendwas Mundgeblasenes – aber das andere? Leider wird er es nie erfahren, weil das Beratungsgespräch nicht so informativ ist wie man das als Schweizer gerne hätte. Und es endet mit einem rustikalen «Ditt musste schon selber rausfinden, wa?! Ick zeig et dir jerne!»

Apropos: Früher war man ja nur dann richtig in Berlin, wenn man mindestens einmal von einem subalternen Mitarbeiter (z. B. Bus- oder Taxifahrer) so richtig einen Anschiss kassierte. Mittlerweile haben sie jedoch Fremdsprachen-Vokabeln wie «Bitte», «Danke» und «Entschuldigung» gelernt – tja, Berlin ist eben auch nicht mehr das, was es mal war.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.