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Sei kein Creep

Single
Bock
31.03.21 - 16:30 Uhr

Bau ein Haus, pflanz einen Baum, mach ein Kind – dass dieser Lebensentwurf nicht zwangsläufig auf jeden Menschen zugeschnitten ist, beweisen die anonymen Liebesbriefe ans wunderschöne, elende Single-Leben. Ein Hoch auf Selbstgespräche, Dosen-Ravioli und Liebeleien.

Vor einigen Wochen lief im deutschen Privatfernsehen eine Reportage darüber, womit Frauen offenbar zu rechnen haben, wenn sie im Internet Kleider und Schuhe verkaufen, die sie nicht mehr brauchen. Watson hat darüber berichtet. Es wurden zwei Beispiele beschrieben: Eine der Frauen hatte ihre Schuhe online zum Verkauf angeboten und dafür ein Foto der Schuhe an ihren Füssen veröffentlicht. Sie fand einen Interessenten (!). Der wollte aber mehr als nur ihre Schuhe. Vielmehr bot er ihr 450 Euro dafür, bei der Übergabe der Schuhe, ihre Füsse anfassen zu dürfen. Eine zweite Frau erzählte davon, dass Bilder von ihr, auf der sie Kleider trägt, die sie verkaufen wollte, den Weg von der Online-Handelsplattform auf eine Erotikseite gefunden hatten. Dort wurden sie mit einigen anzüglichen Bemerkungen kommentiert. Ich muss gestehen, ich habe die TV-Reportage nicht gesehen, sondern nur den Artikel auf Watson gelesen. Nichtsdestotrotz habe ich mich sehr für meine Geschlechtsgenossen fremdgeschämt und mich enorm über ihr Verhalten aufgeregt.

Als ich weiter darüber nachdachte, erinnerte ich mich an eine Situation, in der ich mich auch potenziell grenzwertig verhalten habe. Nachdem ich vor gut zwei Jahren in meine neue Wohnung gezogen war, suchte ich online nach Secondhand-Möbeln in der Region. Ich fand sie und holte die Möbel bei der Anbieterin ab. Sie war sehr sympathisch, wir verstanden uns gut und witzelten bei der Übergabe etwas herum. Sachlich, aber herzlich. Als ich die Möbel bei mir zuhause aufgestellt hatte, schickte ich ihr ein, zwei Fotos davon. Sie freute sich und so begannen wir hin und her zu schreiben. Aus dem digitalen Dialog, der mit der Zeit immer weniger mit ihren Möbeln zu tun hatte, wurde ein flirtiger Austausch. Nach einigen Tagen fragte ich sie, ob sie Lust habe, sich eventuell nochmals auf einen Kaffee zu treffen. Sie hatte und wir trafen uns.

Damals hatte ich mir bei der Kontaktaufnahme mit ihr keine grossen Gedanken darüber gemacht. Es war mir wichtig, nicht creepy rüberzukommen und ihr nicht den Eindruck zu vermitteln, auf Facebook-Marketplace auf Partnersuche zu sein. Heute ist mir aber auch bewusst, dass es ein schmaler Grat war, auf dem ich mich damals bewegte. Im Austausch mit meiner Möbelverkäuferin war wohl soweit das meiste in Ordnung. Ich hätte aber auch verstanden, wenn sie auf die Fotos ihrer Möbel in meiner Wohnung nicht reagiert hätte. Ich hätte mich dann nicht mehr bei ihr gemeldet. Ich muss mir auch den Vorwurf gefallen lassen, dass das Schicken der Fotos bereits ein Schritt zu weit war. Nach dem ersten Kontakt und der angenehmen Übergabe der Möbel, hatte ich das Gefühl, das sei okay. Im Nachhinein war es das für sie und für mich. Es hätte aber auch anders sein können.

Es gibt da draussen offensichtlich einige Männer, die es in Ordnung finden, Frauen, die online etwas verkaufen, zu sexualisieren und sie zu belästigen. Kollegen: das geht auf keinen Fall. Nie

Nun mag sich der eine oder andere womöglich fragen, wie er versuchen kann, kein Online-Creep zu sein. Gute Voraussetzungen schafft ihr meines Erachtens, wenn ihr euch an diese Punkte haltet:

  • Bleib anständig und fall nicht mit der Tür ins Haus. Die Frage nach einem Kaffee-Date ist ok - wenn die Vorzeichen stimmen. Ein Dickpic geht nicht. Niemals.
  • Im Zweifelsfalle immer mindestens eine Intensitätsstufe runterfahren. (Hinweis: Anzügliche Jokes sind niemals die Einstiegsstufe!)
  • Ein «Nein» ist ein «Nein». Du meldest Dich nicht mehr! Keinerlei Reaktion auf deine Kontaktaufnahme kannst Du grundsätzlich mit einem «Nein» gleichsetzen.
  • Zweifelst Du am Interesse deines Gegenübers - lasst die Kontaktaufnahme bleiben.

Online zu flirten ist eine schöne Sache. Sorgen wir doch gemeinsam dafür, dass es das für beide Seiten ist.

Passt auf Euch auf

Euer Singlebock

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