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Schachmatt

Spielen Sie Schach? Dann wissen Sie, wie es sich anfühlt, wenn die Zugmöglichkeiten immer kleiner werden. 

Peter
Eisenhut
11.08.22 - 14:39 Uhr
Bild Freepik

Im Blog «Aktuelle Volkswirtschaftslehre» schreiben Jan-Ebert Sturm, Hans Jörg Moser und Peter Eisenhut über aktuelle Themen, die die Volkswirtschaft bewegen.

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Spielen Sie Schach? Dann wissen Sie, wie es sich anfühlt, wenn die Zugmöglichkeiten immer kleiner werden, in «Schach»-Situationen zu kommen, bis zum finalen Schachmatt. Der Europäischen Zentralbank droht ein solches Szenario.

Blenden wir zurück auf die Gründung der Europäischen Währungsunion im Jahr 1999. Die kritisch gesinnten Ökonomen hielten damals das Projekt für hoch riskant, weil sie die beteiligten Länder wirtschaftlich zu unterschiedlich und zu weit weg von einer politischen Union einschätzten. Die wichtigsten Bedingungen für den Erfolg einer Währungsunion seien nicht gegeben, wiederkehrende Spannungen vorgezeichnet und ein Überleben zweifelhaft. Die optimistischen Ökonomen und die Politik hielten dagegen, dass eine einheitliche Währung den wirtschaftspolitischen Irrwegen der südeuropäischen Länder ein Ende bereiten und gleichzeitig neues Wirtschafts- und Wachstumspotenzial entfalten würde. Mit der Einführung des Euro und einer gemeinsamen Geldpolitik würden Staatsfinanzierungen durch die europäische Zentralbank (EZB) sowie die wiederholten Abwertungen der nationalen Währungen ausgeschlossen.

Die Entwicklungen und die aktuelle Lage in der Europäischen Währungsunion geben den Befürchtungen der Kritiker Aufwind. Wie konnte es dazu kommen? Mit dem Euro haben die beteiligten Staaten zwar ihre geldpolitische Souveränität aufgegeben, nicht aber ihre Budgethoheit und andere Bereiche der Wirtschaftspolitik. Einheitliche Währung und unterschiedliche Wirtschaftspolitik vertragen sich nur schwer. Als Folge davon sind die Schulden einiger Länder der Währungsunion stark angewachsen. Die Schulden Italiens sind beispielsweise in den vergangenen 15 Jahren von 110 auf 175 Prozent des BIP angestiegen. Damit ist die Schuldenquote höher denn je, währenddem das Wirtschaftswachstum trotz vielen Unterstützungsgeldern unter den EU-Durchschnitt gefallen ist. Die Reaktion der EZB auf solche Entwicklungen war seit jeher immer dieselbe: Sie senkte die Zinsen - bis in den Negativbereich - und kaufte im Rahmen von verschiedenen Programmen Staatsanleihen. Das Ziel dieser «Schachzüge» war es stets, den Schuldendienst erträglich zu machen, die Zinsen innerhalb der Währungsunion auf einem ähnlichen Niveau zu halten und das Wachstum zu stimulieren.

Aktuell präsentiert sich die Situation allerdings etwas komplizierter. Denn in der Zwischenzeit ist die Inflation beinahe dramatisch angestiegen, so dass sich auch die EZB gezwungen sah, die Zinsen zu erhöhen - bisher auf gerade mal 0.0 Prozent. Mit dem Hochschnellen der Teuerung und Zinserhöhungen engt sich der Spielraum der EZB immer mehr ein. Sie wird permanent in «Schach»-Situationen versetzt. Eigentlich müsste sie, um den «König» zu schützen, die Zinsen auf mindestens 4 Prozent erhöhen. Aber kann sie das, ohne zu riskieren, andere wichtige Figuren zu verlieren, sprich hochverschuldete Länder in den Bankrott zu treiben? Ihr neuester «Schachzug» gleicht dem altbekannten Muster mit neuem Namen. Das Programm «Transmission Protection Instrument (TPI)» erlaubt es ihr, nationale Staatsanleihen zu kaufen, wenn sie stark unter Druck des Marktes kommen. Damit will die EZB die Zinskosten für hochverschuldete Länder niedrig halten, ein Auseinanderdriften der Zinsen bzw. höhere Risikoaufschläge und damit eine erneute Eurokrise vermeiden. Wie vertragen sich die beiden Spielzüge «Inflation bekämpfen» und für Schuldenstaaten «Zinsen tief halten»? Schachmatt.

Anders als im Schachspiel können sich Zentralbanken allenfalls durch unerwartete Wenden aus dem Schachmatt befreien. Zum Beispiel dank eines überraschenden Rückganges der Rohstoffpreise und damit der Inflation, dank einer unerwarteten Entspannung in der Geopolitik, mit Unterstützung anderer Zentralbanken oder dank grundlegender eigener Reformen. Zu schön, um wahr zu sein?

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