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Wo Armut, Stolz und Dankbarkeit aufeinandertreffen

Ein Besuch im Caritas Markt in Chur.

Bündner Woche
17.08.22 - 11:00 Uhr
Leben & Freizeit

Von Lorena Tino

«Die Zahlen steigen und das ist kein gutes Zeichen», beginnt Alessandro della Vedova, Geschäftsleiter der Caritas Graubünden, das Gespräch. Er spricht von den Menschen, die Hilfe von Caritas benötigen. Doch dazu später. Zuerst den Ort wirken lassen.

Das Problem bleibt bestehen

Die Sonne scheint durch die grossen Fenster. Tassen klimpern im Hintergrund, begleitet von einem Durcheinander an Stimmen, die sich unterhalten. Es herrscht eine gelassene Stimmung im Caritas Markt. Viele Leute gehen ein und aus. Die einen kaufen ein, andere setzen sich im integrierten Café Georgina. Fast alle kennen und grüssen sich. Es erinnert an einen Dorfladen. Die Regale sind gefüllt und sortiert. Gemüse und Früchte in verschiedenen Farben glänzen in den grünen Kisten. «Unser Ziel ist es, eine gesunde und vielfältige Ernährung zu ermöglichen. Denn oft wird in der Geldnot auf ungesunde Nahrungsmittel mit hohem Kaloriengehalt zurückgegriffen, um den Hunger zu stillen, da diese günstiger sind», erklärt Alessandro della Vedova die Absicht des Caritas Markt. Und es gelingt. Es findet sich eine grosse Auswahl an allen nötigen Lebensmitteln wie auch andere Produkte, darunter Spielzeug, Haushaltsutensilien, Körperpflegemittel und vieles mehr. Das meiste werde von Grossverteilern bezogen, es gebe aber auch viele Spenden, wie wir erfahren. So sei es auch möglich, hie und da einige Markenprodukte zu verkaufen. Und wer darf denn nun eigentlich hier einkaufen? «Wer hier einkauft, muss eine ‘Kulturlegi’ vorweisen können. Diese erhält man ab einem bestimmten finanziellen Notstand», weiss der Geschäftsführer. Mit der Kulturlegi kann man also im Caritas Markt einkaufen, bekommt aber auch an anderen ausgewählten Orten Vergünstigungen. Alles wunderbar. Doch ein grosses Problem bleibt bestehen. Die Armut.

Ein Ort der Inklusion

Auch in der Schweiz spricht man von Armut. Sie wirkt sich hierzulande anders aus als in anderen Ländern, trotzdem ist sie gegenwärtig. «Von Armut spricht man, sobald man nicht genügend Geld hat, um die Kosten für die Grundbedürfnisse zu decken», erklärt Alessandro della Vedova, begleitet vom Piepsen der Kasse im Hintergrund. Wie bereits erwähnt würden die Zahlen ansteigen. In diesem Jahr wurden rund ein Drittel mehr Kulturlegis ausgestellt als im vorhergehenden. «Tendenz steigend», prognostiziert der Geschäftsführer. Das hänge mit der Inflation und der aktuellen Krise zusammen. Leider würden sich aber viele Menschen schämen, sich schon frühzeitig Hilfe zu holen, woraufhin sie dann in eine scheinbar ausweglose Situation geraten würden. Allgemein gäbe es sehr viele, vor allem Einheimische, die Angst vor der Reaktion der Gesellschaft auf ihre finanzielle Lage hätten. Den Missglauben, dass vor allem Migrantinnen und Migranten Hilfe von Caritas beziehen würden, widerlegt Alessandro della Vedova: «Es ist nicht immer gleich, aber meistens ist das Verhältnis von Menschen mit Migrationshintergrund und Einheimischen fifty-fifty.» Einen Beweis dafür liefern die vielen Gespräche im Hintergrund. Den einen kann man gut folgen, andere klingen wie eine fremde Melodie, die man aber nicht versteht. Im Café Georgina, welches integriert in den Caritas Markt ist, sind alle willkommen. So möchte man einen Ort der Inklusion schaffen.

«Die Adligen im 18. Jahrhundert haben es früh begriffen: ‹Geht es den Unterlegenen gut, geht es einem selbst noch besser.› Leider ist es heute so, dass der Mittelstand in der Schweiz schwindet und die Kluft zwischen Wohlstand und Armut wächst», weiss der Geschäftsführer. Vor allem bezieht er sich damit auf den Immobilien- und Arbeitsmarkt, der für viele Menschen mit Geldnot eine Herausforderung darstellt.

Herausforderungen gibt es viele im Leben der Menschen, die finanziell am Rande stehen. Viele Sorgen und noch mehr Scham. Im Caritas Markt spürt man davon aber nichts. Hier kommen Menschen zusammen, um zu plaudern, einen Kaffee zu trinken und um einzukaufen. So wie es jedermann und jedefrau tut.

Armut in der Schweiz

Zahlen und Fakten

- Seit 2014 steigt die Armut in der Schweiz an. Schon vor der Coronapandemie war jede sechste Person von Armut betroffen oder befand sich knapp an der Armutsgrenze.
- Konkret wurden im Jahr 2020 722'000 Menschen, die von Armut betroffen sind, gezählt. Darunter viele Alleinerziehende oder Menschen mit geringer Ausbildung, die nach Verlust ihrer Arbeitsstelle, keine neue finden.
- 158'000 Frauen und Männer zählten zu den sogenannten «working poor». Das heisst, trotz Arbeitsstelle und Einkommen, können sie die Fixkosten nicht begleichen.
- 1,3 Millionen Menschen verdienen monatlich weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Unter diesen meist Familien mit drei oder mehr Kindern. Sie zählen als armutsgefährdet.
- 2279 Franken. Das ist das maximale monatliche Einkommen einer armutsbetroffenen Person. Bei einer Familie, bestehend aus zwei Elternteilen und zwei Kindern, beträgt das Maximum 3963 Franken. Davon müssen in beiden Fällen alle Kosten beglichen werden können. Von Wohnen, Essen, Krankenkasse und Kleidung bis hin zu Körperpflege, Bildung und noch vieles mehr.

Diese Informationen wurden Berichten von www.caritas.ch entnommen.

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