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Millimeterarbeit im Trubel auf dem Churer Postautodeck

Die Postauto-Station am Churer Bahnhof wird umgebaut. Von den Arbeiten profitieren Menschen mit Handicap.

Bündner Woche
16.05.24 - 11:00 Uhr
Leben & Freizeit
Die Elemente des Kasseler Sonderbords werden genau positioniert.
Die Elemente des Kasseler Sonderbords werden genau positioniert.
Andri Dürst

von Andri Dürst

Wiiiiiuuuuum! Das laute Kreischen eines Trennschneiders dröhnt durch die Churer Postauto-Station. Nicht nur dieses Geräusch, auch die grossen Absperrgitter in der Mitte des Decks lassen erahnen, dass hier gebaut wird. Die meisten Passantinnen und Passanten scheint dies aber nicht gross zu stören – sie schlendern entweder gemütlich zu ihrem nächsten Postauto oder rennen hinunter zum Bahnhof, um noch ihren Zug zu erwischen.

Doch nicht alle Menschen in unserer Gesellschaft können sich so frei bewegen. Damit aber auch Menschen mit Handicap möglichst grosse Freiheiten beim Reisen geniessen können, gibt es das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG). Und hier findet man auch die Gründe für den Umbau an der Churer Postauto-Station. Im Vorfeld dieser Arbeiten holten die Post als Besitzerin und Postauto das Know-how der Behindertenorganisationen Pro Infirmis Graubünden und Procap Grischun ab.

Autonomes Reisen als Ziel 

Damit Menschen Rollstuhl künftig ohne fremde Hilfe in Niederflur-Postautos einsteigen können, sind spezielle, 22 Zentimeter hohe Haltekanten vonnöten. Und diese werden derzeit auf dem Postautodeck erstellt. Zwei solche Kanten wurden bis Ende April im Rahmen einer ersten Bauetappe bereits gebaut, derzeit sind zwei weitere in Arbeit. Nach dem Abschluss der dritten und letzten Etappe stehen dann bis im Sommer insgesamt sieben solche Kanten zur Verfügung. Dario-Luca Simeon, Betriebszonenleiter bei Postauto, erklärt dazu: «Die Konformität für barrierefreies Reisen ist bei Postauto schon seit längerer Zeit gegeben. Bei Niederflurfahrzeugen haben wir beim Mitteleinstieg eine Ausklapprampe, mit der Menschen im Rollstuhl einsteigen können. Und bei sogenannten Hochbodenfahrzeugen ist ein Lift installiert, mit dem die Fahrgäste im Rollstuhl das Fahrzeuginnere erreichen. Allerdings muss bei beiden Systemen eine Person beim Einstieg helfen.» Dies ändert mit den neuen Haltekanten – und dank diesen kann wie erwähnt jeder und jede im Rollstuhl selbstständig in Niederflur-Postautos einsteigen. Weiterhin im Einsatz seien Hochboden-Fahrzeuge auch auf der Bellinzona-Linie, wie Dario-Luca Simeon ergänzt.  

Mit Herausforderungen umgehen

Damit die nun laufenden Bauarbeiten wie gewünscht vonstattengehen, darum ist unter anderem Architekt Konrad Maier bemüht. Er hat einen nicht ganz einfachen Job gefasst. Denn mit der Baustelle sind verschiedene Herausforderungen verbunden: «Zum einen dürfen wir nicht zu viel Gewicht auf die bestehende Konstruktion bringen. Zum anderen müssen aber die Voraussetzungen der Verkehrsplanung eingehalten werden», fasst er zusammen. Zudem gelte es, die bestehenden Entwässerung auf dem Deck an die neuen Haltekanten anzupassen. 
 

22 Zentimeter, die es ausmachen: An den neuen Haltekanten können Personen im Rollstuhl autonom in Niederflur-Postautos einsteigen.
22 Zentimeter, die es ausmachen: An den neuen Haltekanten können Personen im Rollstuhl autonom in Niederflur-Postautos einsteigen.
Andri Dürst

Konrad Maier zeigt anhand der dritten Haltekante, die sich derzeit im Bau befindet, wie das Prozedere vonstattengeht. «Zuerst werden in regelmässigen Abständen Sondierbohrungen in die Fahrbahnplatte gemacht, um deren genaue Höhe zu ermitteln. Anschliessend kann der Trennschneider auf die entsprechende Höhe eingestellt werden, sodass wir die Fahrbahn in Stücke schneiden können.» Denn schneide man zu tief, verletze man die bestehende Abdichtung. Die nun aufgetrennten Stücke würden anschliessend von einem Bagger in eine Mulde verladen. Als Nächstes rücken die Strassenbauer an: Diese platzieren auf dem nun tieferen Boden die sogenannten Kasseler Sonderborde. Diese bestehen aus vorgefertigten Betonelementen, die später im Betrieb den Chauffeuren und Chauffeusen ein möglichst dichtes Anfahren der Haltekanten ermöglichen. Bei der Positionierung ist durchaus Millimeterarbeit gefragt: Die Betonelemente müssen genau aufeinanderpassen und in einer Linie sein. 

Der tägliche Postauto-Betrieb findet parallel zu den Bauarbeiten statt. Dank geschickter Planung führt dies aber zu keinen grösseren Einschränkungen.
Der tägliche Postauto-Betrieb findet parallel zu den Bauarbeiten statt. Dank geschickter Planung führt dies aber zu keinen grösseren Einschränkungen.
Andri Dürst

Wie der Architekt weiter erklärt, werde anschliessend ein sogenannter Schaumglasschotter eingebaut. Die von der Bündner Firma Misapor hergestellte Schüttung verwende man aus Gewichtsgründen, ergänzt Konrad Maier. Anschliessend werde die Fahrbahn ausbetoniert, sodass diese dann in Betrieb genommen werden könne.

Änderungen am Boden und an der Decke

Ganz fertig sind die Arbeiten in der Churer Postauto-Station dann aber noch nicht. Denn BehiG-konform bedeutet nicht nur, dass Menschen im Rollstuhl autonom ihre Verkehrsmittel erreichen können. Auch an Sehbehinderte wird gedacht. «Dazu werden wir am Boden die sogenannten taktilen Leitlinien aufbringen. Und die bestehenden Informationstafeln werden durch neue Exemplare ausgetauscht, die über eine Sprachfunktion verfügen», stellt der Architekt in Aussicht. 

Auch sonst erfährt die Kundeninformation noch einige Änderungen, wie Dario-Luca Simeon hinzufügt: «Die Anzeigetafeln über den Haltekanten werden neu positioniert. Zudem werden diese künftig nicht mehr mit Nummern bezeichnet, sondern mit Buchstaben. Damit keine Verwechslung mit den Haltekanten des Stadtbusses entsteht, werden wir auf dem Postautodeck erst mit dem Buchstaben K beginnen.» Dann wird es dort auch wieder ruhiger sein. Und die 1993 eröffnete Station – sie wird aufgrund ihrer markanten Dachkonstruktion von vielen als eines der Churer Wahrzeichen angesehen – ist rund 30 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme wieder fit für die Zukunft.

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